Landleben – Bunte Träume

c by Haneef Shareef

Kontakt: Frau Nina de la Chevallerie, Projektleiterin, boat people projekt e.V.
Adresse: Stresemannstrasse 24 c, 37079 Göttingen
Telefon: 0176-22732901
E-Mail: n.chevallerie@boat-people-projekt.de
Internet: www.boatpeopleprojekt.de

Beschreibung:

Ein Theaterprojekt von und mit Menschen aus dem Landkreis Göttingen

Im fiktiven Dorf HAUSEN treffen Zukunftswünsche, Heimatliebe, Fernweh, größenwahnsinnige und bescheidene Visionen sowie heiße Gerüchteküchen aufeinander. Da sind die guten wie die schlechten Seiten seiner Bewohner, die in guten wie in schlechten Zeiten zusammenhalten oder aufeinander losgehen. Hier gibt es eigenartige Traditionen und Cliquen, idyllische Plätze und gruselige Ecken, man macht Party oder schwitzt bei Höchstgraden in der Sauna, kocht nach Geheimrezepten oder auch einiges hoch, kehrt den Gehsteig oder wartet auf den Bus. In HAUSEN ist die Natur schön und schwierig, die Gräser duften, die Wälder rauschen und die Gülle stinkt. Wer hier nicht beerdigt werden möchte, der will so bald wie möglich nach New York, London, Tokio oder Göttingen ziehen. 

Ein halbes Jahr haben Dörflerinnen und Dörfler zwischen 7 und 70 Jahren gemeinsam mit einem künstlerischen Leitungsteam experimentiert, diskutiert und produziert – herausgekommen ist ein Theatererlebnis für die ganze Familie.  

Hintergrund:
Ein knappes halbes Jahr lang haben sich Menschen aus dem Landkreis Göttingen auf das Theater-Experiment DORF eingelassen. Wir, das heißt: Fünf Workshop-Leiter*innen trommelten seit Oktober 2017 insgesamt 32 Leute an vier Standorten (allein drei davon waren Orte, deren Namen mit „-hausen“ endeten) einmal wöchentlich zusammen und arbeiteten und spielten dort mit den Teilnehmenden (die wiederum jeweils aus unterschiedlichen Dörfern kamen). Bis sich das Kernteam von 32 Mitwirkenden zusammenfand, gab es hier  Schwund durch Krankheit und Zeitmangel und gab es da verwegenem und unkompliziertem Späteinsteigende, ein normaler Prozess. So improvisierten, diskutierten, sangen, rangen, schrieben, dichteten und probten wir schließlich. Einmal ging man experimentell vor, da klassisch theatral, dort stand die Musik im Mittelpunkt, hier die Performance, ein offenes Setting, ein Hörspiel etc. Aus all dem sollte ein neues Dorf entstehen, das Theaterdorf HAUSEN, in dem sich alles und alle zusammenfinden konnte*n.

Proben- und Aufführungsort ab Anfang März 2018 wurde nach langer Recherche dann das so genannte „Schloss Gieboldehausen“. Es gehört dem Flecken Gieboldehausen nordöstlich im Landkreis – ein altes Fachwerkhaus mit einer jahrhundertealten Geschichte und wird – nach einer grundlegenden Renovierung in den Jahren 1987 bis 1991 – inzwischen als Standesamt und für unterschiedliche kulturelle Zwecke genutzt.

Dem boat people projekt gewährte man für die große Show zum Glück alle Freiheiten, den Ort zu gestalten, umzuwidmen und schließlich zu bespielen – immerhin mit 80 Gästen pro Vorstellung, die ja gemeinsam mit den Spielenden und Helfenden durchaus Platz einnahmen. 

Ziele:
In den zahlreichen Räumen und drei Etagen, einschließlich des Dachbodens, wurde das Publikum in vier Gruppen à höchstens 20 Personen von Szene zu Szene geführt und erhielt, so die dramaturgische Setzung, „exklusiven Einblick“ in das schöne schnöde wie ereignisreich bis wunderbar öde Leben auf dem Land bzw. in HAUSEN. Eigene „Guides“ führten jeweils ihre Gruppe durch die ausgesuchten „Points of Interest“ in ihrem Dorf. Das waren ein Mittagstisch bei Familie Klischee, ein Saunabesuch unterm Dach, eine Einladung in die Küche der 68er-WG und zu einer Party im Hobbykeller einer Familie, die hier vor den Besuchenden die Sau und ihre tiefsten Gedanken rauslassen sollten.

Dies, das war die Zielsetzung, sollte ebenso dies- wie jenseits von Klischees und Klüngel, Alltag, den Nöten und Freuden und allem, von dem man hier ein Lied singen kann, geschehen. In den einzelnen Workshops wurden vom künstlerischen Team erdachte Fragebögen ausgefüllt, Themen gesammelt, Erfahrungen und besondere Erlebnisse aufgeschrieben und mögliche „dramatische“ Settings ausgewählt, die helfen sollten, die wahren Geschichten der Beteiligten und ja definitiv Expert*innen des Dorf-Alltags in Formen zu gießen – und auch den Theateraspekt zu bedienen. Denn es galt nicht allein, Informationen zusammenzutragen, eine Chronik anzulegen oder eine Dokumentation aus der Taufe zu heben, sondern auch und vor allem zu spielen, zuzuspitzen, das Landleben und Leben auf dem Land (was durchaus nicht dasselbe ist) ebenso liebevoll wie ironisch-satirisch, ebenso poetisch wie politisch aufscheinen zu lassen.

Das Publikum und die Spielendem in seinem/ihrem Element

Das Publikum sollte einen Blick erhaschen auf das Schalten und Walten, Handeln und Hausen der Einwohner im (doku)fiktiven Dorf. Fast alle Teilnehmenden hatten gemeinsam, dass sie auf dem Land leben. Und so waren sie von Anfang an ja, wie schon beschrieben, unsere Expert*innen des Alltags und ihre Meinungen, Erfahrungen und Beobachtungen standen im Mittelpunkt. Da sie ihr eigenes Thema waren, ergab dies auch im Endergebnis eine Art vielteiligen Spiegel. Der war besonders für die ebenfalls vom Dorf kommenden Zuschauenden eine Art Bestätigung für den ein oder anderen Gedanken, weil sie wiedererkannten, wer sie sind. Das (größtenteils ländliche) Publikum spiegelte uns auch ebendies in den Gesprächen danach zurück: Sie fühlten sich gemeint und erkannt, fanden sich wieder in den Szenen und erlebten auf diese Weise eine große Identifikation und Selbstreflektion. Und die so genannten Städter beschrieben, wie sie Stückchen für Stückchen ein besseres, liebevolleres und verständnisreiches Bild von den „Fremden“ aus dem Landkreis erhielten.

In den Händen hielten die Zuschauenden „Pressemappen“ mit unterschiedlichen Infos und „Give aways“, etwa einen DORF-Aufkleber, einen Lageplan, den Liedtext der HAUSEN-Hymne, einen Eintritts-Bon für die Sauna für Zugezogene, Preislisten für potentiell zu erwerbende Raritäten und Investitions-Objekte in HAUSEN etc.. Die Gäste waren also eine Art Messebesuchende, auf die eine oder andere Weise Investierende, mehr oder weniger (un)erwünscht nach HAUSEN Geladene, gar Städter, Fremde, Nichtsahnende. Das ergab sich aus der bei Dörflern durchaus kritischen Haltung gegenüber Investoren, die aus der Stadt kommend ihren Lebensraum nur unter kapitalistischen Gesichtspunkten betrachten und rücksichtslos über ihre Köpfe hinweg Pläne schmieden. Zugleich wollten wir auch erzählen, dass den Dörfern gerade der Zuzug fehlt, sie fremde, neue, frische, Ideen brauchen. So war das Publikum sowohl erwünscht wie unerwünscht und durfte/musste sich als Eindringling verstehen oder wurde hofiert. Auch daraus leiteten sich anbahnende Konflikte ab, speiste und rechtfertigte sich die Tatsache, dass man so persönliche und intime Einblicke in das Leben von HAUSEN erhielt. Ästhetisch wie dramaturgisch wichtig war uns, dass diesmal keine reine Guckkastensituation aufgebaut werden sollte, also keine klassische Aufteilung in Publikum und Bühne. So nahmen die Zuschauenden immer wieder ihren Platz nah bei den Akteur*innen ein, konnten diese berühren und wurden von Szene zu Szene immer wieder neu untereinander gemischt und auch angehalten, sich zu verhalten.

Ergebnisse:
Sechs Mal präsentierten 30 Akteur*innen gemeinsam mit dem Produktionsteam im März und April 2018 die Performance DORF – Einmal Landkreis und zurück im Schloss Gieboldehausen. Geschaffen haben dieses Stationentheater Menschen aus Bernshausen, Besenhausen, Bilshausen, Deiderode, Etzenborn, Gieboldehausen, Groß Lengden, Güntersen, Göttingen, Herberhausen, Reckershausen, Reiffenhausen, Rittmarshausen, Rüdershausen, Wöllmarshausen. Dies geschah mit Hilfe und unter der Anleitung von Hans Kaul, Nina de la Chevallerie, Franziska Aeschlimann, Birte Müchler, Reimar de la Chevallerie und Nicola Bongard.

Kooperationspartner:
Theaterbühne e.V. in Güntersen, Handweberei Rosenwinkel e.V. in Besenhausen, Freizeitheim Reformierte Kirchengemeinde in Sattenhausen und Landgasthaus Amtsrichter Gieboldehausen, Schloss Gieboldehausen.

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